Zilla Leutenegger ( 1968 )
Ein Subjekt vor dem Subjekt
Der Katalog, den die Künstiergruppe x-position 1996 zu einer bloss
imaginierten Ausstellung von Zilla Leutenegger in der Shedhalle Zürich
gestaltete, zeigt nebst einem geklauten Text, in den der Name der Künstlerin
eingefügt ist, am Computer erstellte Photographien von Aus-stellungssituationen:
An den Wänden hängen aufgeblasene Videostills. Diese sind der
ersten Videoarbeit von Zilla Leutenegger entnommem, der Installation PORTRÄTS
1995, die auf vier Monitoren mit je einem Video-band Autoporträts in
unterschiedlicher Umgebung nach- und nebenein-anderstellt. Die Sequenzen
dauern jeweils einige Minuten und gleichen sich insofern, als Zilla Leutenegger
nur immer aus ähnlicher Distanz in die Kamera und bisweilen von ihr
weg zur Seite sieht. Der Moment, die neue Kamera auszuprobieren und die
Versuche, sich selbst in ein Verhältnis zu ihr zu stellen, fallen zusammen
und symbolisieren sich gegenseitig. In dieser Weise konstruiert PORTRÄTS
1995, liesse sich mit Blick auf die folgenden Arbeiten, in denen Zilla Leutenegger
stets wieder selber auftritt, behaupten, eine Art Urszene der Künstlerin.
Der Katalog nun erzählt diesen Anfang zugleich als ein zweites Mal:
als Eintritt in die Institutionen des Kunstbetriebs, und diese Insze-nierung
erscheint als Phantasie.
In ihren neuesten Arbeiten realisiert Zilla Leutenegger ver-schiedene
Szenarien, die sich als Kinderwünsche lesen lassen. Die Auftritte als
Balletttänzerin in ZILLA NINA BALLERINA 97, als Popstar in THE MOLES
97 oder als Opemsängerin führen dabei aber in ihrer steten Verfehlung
auch das Schmerzliche auf, das die Versuche, derart vorgezeichnete Plätze
zu besetzen, immer schon einüben. Als ambiva-lente Tagträumereien
treten sie in Beziehung zu den ersten Porträts <auch jene realisieren
einen Wunsch, wenn sie vorgeben, die Abgebil-dete zur Künstlerin zu
machen), wobei die phantasierten Bühnenauf-tritte als eingebunden in
die Struktur der Porträtaufnamen erscheinen. Letztere aber ,,urspringen"
darüber hinaus die Künstlerin tatsächlich (wogegen sie mit
den späteren Videos nicht wirklich zur Sängerin wird>, und
der erwähnte Katalog dramatisiert die Realität, die nach einer
Erklärung verlangt, noch einmal als Ursprung einer Geschichte. In ihrer
Kunst begegnet die Ktlnstlerin sich immer selbst: Dieser erste Satz im Shedhalle-Katalog
von Zilla Leutenegger lässt sich als jener theoretische Einsatz lesen,
der die Phantasie von der Künstlerin stabilisiert. Als solcher wird
er, ins Kunstwerk selbst hineinversetzt, in verschiedenen Arbeiten variiert.
In SPIEGLEIN, SPIEGLEIN 1997 tanzt die Künstlerin in ihrem Zim-mer
vor einem Spiegelschrank, wobei das Spiegelbild sowohl zur Kon-trolle/Korrektur
der Tanzbewegungen behilflich ist, als auch den Part-ner abgibt, mit/für
den getanzt wird. In dieser Weise, liesse sich argumentieren, ist der andere
aus dem Club immer schon präsent. Derart wird die Unterscheidung zwischen
Privatem und Öffentlichem problema-tisch, und dies wird im Moment der
Aufnahme noch akzentuiert: Wenn das Video dieser Heimubung im Kunstkontext
erscheint, geht es weniger da-rum, ein wahres Gesicht oder ein Geheimnis
der Künstlerin offenzule-gen, sondern die Szene ist so gut geglückt
(wie manches beim Üben am besten gerät), dass sie gezeigt werden
kann.
In THE WAY YOU MAKE ME FEEL 1997 tritt an die Stelle des Spie-gels ein
Computerprogramm, und der Fokus verschiebt sich, wie der Ti-tel anzeigt,
vom Medium auf die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt. Als Zilla Leutenegger,
diesmal im Atelier, eine Weile getanzt hat, tritt eine zweite, dann eine
dritte identische Figur auf, und beide bewegen sich mit zur Musik, bis die
zweite den Kassettenrecorder, der auf dem Tisch steht, ausschaltet. Dass,
wer tanzt, dies gleichzeitig für sich und für den andern tut,
diesen Zwiespalt überbrückt hier das
Produktionsverfahren: Zilla Leutenegger macht aus derselben Kamerape-sition
drei Aufnahmen nacheinander und fügt sie am Bildschirm zusam-men: Die
Momente von Interaktion zwischen den Tanzenden, die sich nun ergeben, sind
rein kontingent.
Die Perspektive, die diese beiden Arbeiten im Verhältnis zueinander
andeuten, liesse sich anfügen, wird in AEROBIC WITH ZILLA ZACK 1997
wieder ins Bild gesetzt. Auf dem Videoband führt die Künstlerin
wäh-rend 50 Minuten Aerobiclektionen vor. Neben/hinter ihr wird das
Bild, das die Kamera aufnimmt, ,,gleichzeitig" an die Wand projiziert,
so dass es in sich wiederum erscheint und sich weiter fortsetzt. In einer
Installation/Performance absolvierte Zilla Leutenegger das ganze Pro-gramm
als öffentliche Lektion noch einmal, nun synchron vorgetragen zum angefertigten
Videoband, das sie dazu abspielte. Die Teilnehmer-Innen wiederum wurden,
mitsamt Zilla Leutenegger, von einer installierten Videokamera aufgenommen
und erschienen neben dem Homevideo als zweite Projektion an der Wand. In
dieser maschinellen Verschaltung, die den eigentlichen Kunstraum installiert,
ist die Künstlerin immer schon da.
Tan Wälchli
Winter 1997
Mirjam Staub ( 1969 )
Today everything exists to end in a photograph beklagt sich Susan Sontag
in einem Essay über die Auswirkungen der Photographie auf die Realität.
Mirjam Staub ist den Dingen auf der Spur, die durch das Einkaufsnetz der
Kamera fallen. Während eines Aufenthalts in Holland verordnet sie sich
ein rigides Programm der Selbstüberwachung. Alle Gegenstände des
täglichen Gebrauchs, für die sie Geld ausgibt, werden acht Wochen
lang photographisch dokumentiert. 303 Fotos von Tomaten, Tampax, Twix, Brot
und Käse erzählen von einem asketischen Künstler-innenleben.
Doch das visuelle Tagebuch weist Lücken und Manipulationen auf. Schon
nach einiger Zeit versucht die Künstlerin, die Kamera zu überlisten.
Sie vergisst den Apparat, weiss an einigen Tagen nicht mehr, was sie schon
alles fotografiert hat, klaut Toilettenpapier, um es nicht fotografieren
zu müssen, lässt sich von Freunden zum Essen einladen. ,,Ich mag
nicht mehr kochen, das heisst nicht mehr einkaufen, das heisst nicht mehr
fotografieren," schreibt sie ihrem Freund. Die Künstlerin ist
an den strengen protokollarischen Vorgaben gescheitert. Der Versuch einer
empirischen Beweisführung, dass es keine empirisch nachweisbare Realität
gibt, ist jedoch gelungen.
That's the way you photographers vork, schrieb ihr einmal ein ehemali-ger
Geliebter. ,,You get your model as your lover and then they get that special
look in their eyes. (what look?)." Blicke lügen nicht -oder doch?
Was sagen ein begehrlicher Augenaufschlag, ein paar ver-schränkte Arme
aus über die Wirklichkeit von menschlichen Beziehungen? Ich habe ihn
noch nie so gesehen, bis zu dem Moment, wo ich ihn photographiert habe.
Wenn ich das Bild jetzt anschaue, sehe ich, dass es mit uns nicht gut gehen
konnte." lautet der handgeschriebene Kommentar unter dem Foto eines
jungen Mannes. Doch das Gefühl von bekennerhafter Authentizität
erweist sich als trügerisch, der traurige Gesichtsausdruck des
Porträtierten reicht nicht für eine charakteranalyse.
Aus dem ,,So ist es gewesen" von Roland Barthes ist ein ,,Es hätte
auch anders gewesen sein können" geworden.
Als es passiert ist, hatte ich dummerveise die Kamera nicht dabei, lautet
der Untertitel eines unspektakulären Fotos, auf dem ein Treppenaufgang
zu sehen ist, der zu zwei verschlossenen Türen führt. Aus dem
Spannungsfeld zwischen Foto und Text ergibt sich das Eigentliche,
das immer woanders ist. Mirjam Staub zeigt nicht, was die Photographie enthüllen
kann, sondern was sie verbirgt, ganz nach dem Prinzip eines Striptease,
der solange fesselnd ist, bis alle Masken gefallen sind. Eine nackte schöne
Frau steht vor der Fotograf in und bläst einen grossen weissen Ballon
auf, der ihre Brüste verdeckt. Mirjam Staub erwischt den ,,richtigen
Augenblick" und drückt auf den Auslöser - bevor der Ballon
platzt.
Beate Engel
Isabel Truniger ( 1970 ) über ihre Arbeiten
(Fragen: Michelle Nicol )
Gilles Lipovetsky sprach vam Narziss als dem universellen Sinnbild
unserer Gesellschaft. Deine Modelle sind nicht professionell - und posieren
doch mit einer gewissen Lust. Holst du den Narziss raus?
Klar posieren sie. Sie sind nicht in ihrer Stube, sie sind im Studio
und spielen. Ich muss ihnen allerdings erklären, dass ich mit ihrer
Hilfe meine Bildideen darstellen will und sie nicht als reale Per-sönlichkeiten
zeige. Die Mischung zwischen einer Pose und einer sim-plen Selbstdarstellung
ist spannend. Es ist aber oft recht ungewohnt für meine Modelle, sich
so zu präsentieren wie ich will.
Die Photographie ist der exemplarische Ort des Unauthentischen, des
Unnatürlichen und des Scheins. Deine Bilder sind offensichtlich inszeniert.
Was schätzt du an dieser Künstlichkeit, am Moment des Eingefrorenen?
Ich liebe klare und direkte Bilder. Am liebsten stelle ich jemanden vor
einen weissen Hintergrund. Mir graut vor Interieurs. Wenn meine Modelle
spezielle Kleidung tragen, dann werden die Fotos oft als Modephotographie
gelesen - und darum geht es mir nicht. Grundsätzlich mag ich Nacktheit,
der Mensch wird ,deutlicher' durch das Weglassen, aber das hängt vom
Thema ab. Ich zeige gerne Stofflichkeit, die Struk-tur der Haut oder der
Haare. Inszenierung bedeutet aber auch, eine Bildsprache entwickeln.
Die Ästhetik deiner Arbeit ,Sexus' generiert sich in einer glatten
Oberfläche. Wie wichtig ist die ,schöne' Präsentation?
Technische Perfektion interessiert mich eigentlich nicht. Ich arbeite
jedoch gerne mit dem Licht, was im Studio besser möglich ist. Das qualitativ
gute Bild kann bei gewissen Themen durchaus einen Wider-spruch auslösen.
Was meine Modelle anbelangt, wollte ich für ,Sexus' weder hässliche
noch wunderschöne Leute zeigen. Pickel oder dicke Beine empfinde ich
als total normal. Ich wollte Personen mit ihren mehr oder weniger perfekten
Körpern darstellen. Ich finde meine Model-le schön, weil ich sie
kenne.
Deine Bilder sind weder Dokumentationen, noch sind es Fiktionen. Bist
du eine Manipulatorin?
Manchmal, es ist ein Wechselspiel. Einerseits sind die Modelle für
mich eine Art Schauspieler. Anderseits suche ich solche aus, die etwas von
sich einbringen. Zum angewöhnen gebe ich Anweisungen und sage stellt
euch so hin" oder ,,schaut in die Kamera". Meine Darsteller dürfen
die Bilder begutachten, bevor sie veröffentlicht werden. Manchmal
habe ich seltsame Ideen und meine Darsteller verstehen nicht, worum es geht.
Es war aber noch nie der Fall, dass ein Modell etwas nicht machen wollte.
Wir sind eine Gesellschaft des Spektakels. Was passiert auf dienen
Bildern?
Die Leute zeigen etwas von sich, das ist alles. Du schaust das Bild an
und es sagt dir Dinge, die du kennst. Im besten Fall erzählt ein total
einfaches Bild eine Geschichte. Es geht mir nicht um das Spektakuläre,
sondern um eine Stimmung.
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